Verhaltensforschung

Korallenriffe: Bei Lichtverschmutzung kommen die Räuber

Künstliches Licht lockt nachts vermehrt Raubfische an

Korallenriff bei Nacht
Wie verändert Lichtverschmutzung das Leben am Riff? © Emma Weschke

Gefährliches Licht: Die zunehmende Lichtverschmutzung hat in Korallenriffen eine besondere Nebenwirkung – sie lockt nachts vermehrt Raubfische an. Angezogen von der ungewohnten Helligkeit sammeln sich dann selbst einige tagaktive Räuber am Riff, um sich am Buffet der nun hell erleuchteten Beute gütlich zu tun. Doch die hellen Nächte könnten nicht nur für die Beutefische zur Gefahr werden.

Die Lichtverschmutzung des Nachthimmels nimmt rapide zu. Schon jetzt gibt es auf der gesamten Welt keinen absolut dunklen Ort mehr. Das intensive künstliche Licht in der Nacht ist jedoch nicht nur für Sternengucker störend, sondern beeinträchtigt auch viele Tiere. So stört die Lichtverschmutzung zum Beispiel nachtaktive Insekten beim Bestäuben, bringt Zugvögel durcheinander und begünstigt Seitensprünge bei Singvögeln.

Dem Nachtleben der Riffe auf der Spur

Auch die Ozeane sind vor den Folgen des zunehmend hellen Nachthimmels nicht gefeit: 22 Prozent der Küstenlinien sind nachts künstlich beleuchtet und auch 15 Prozent der Korallenriffe sind nachts heller, als sie eigentlich sein sollten. Das Licht erreicht sie über beleuchtete Wohngebiete, Häfen und vorbeifahrende Schiffe sowie indirekt über diffuse Lichtreflexionen von Satelliten und Weltraumschrott. Wie genau sich diese nächtliche Beleuchtung auf das Leben an den Korallenriffen auswirkt, ist bislang allerdings erst in Teilen verstanden.

Forschende um Emma Weschke von der University of Bristol haben daher nun untersucht, ob künstliche Beleuchtung die Zusammensetzung der Fisch-Gemeinschaften beeinflusst, die sich nachts in Korallenriffen aufhalten. Dafür ahmte das Team an Riffen in Französisch-Polynesien die nächtliche Lichtverschmutzung mithilfe von LEDs nach und beobachtete das Treiben mittels spezieller Unterwasser-Infrarot-Nachtsichtkameras. Da Fische nicht im Infrarotbereich sehen können, verfälschte diese Form der Beobachtung ihr Verhalten nicht. Weschke und ihr Team verglichen ihre Beobachtungen anschließend mit dunkel gebliebenen Kontrollriffen.

Raubfische verschieben ihre Ruhezeit

Das Ergebnis: Nach 25 aufeinanderfolgenden Nächten, in denen die Riffe künstlichem Licht ausgesetzt waren, trieben sich dort nach Sonnenuntergang insgesamt mehr und auch für diese Uhrzeit untypische Fische herum, wie die Forschenden berichten. „Viele der Arten, die an künstlich beleuchteten Riffen entdeckt wurden, waren keine nachtaktiven Fische, sondern solche, die normalerweise nur tagsüber aktiv sind“, erklärt Weschke.

Verhaltenänderungen durch Lichtverschmutzung
Nachts trieben sich am Riff deutlich mehr und auch tagaktive Fische herum. © Emma Weschke

Bei den tagaktiven Fischen, die ihre Ruhezeit nach hinten verschoben hatten, handelte es sich vor allem um Raubfische, die sich von Zooplankton, kleinen Fischen und wirbellosen Tieren ernähren. Sie tauschten ihren Schlaf gegen leichte Beute ein. Denn durch die Beleuchtung konnte diese sich nicht mehr wie gewohnt im Dunkel der Nacht verstecken, sondern schwamm gewissermaßen auf dem Präsentierteller herum. Manche wirbellosen Beutetiere sind sogar phototaktisch, bewegen sich also aktiv auf Lichtquellen zu, was es den Raubfischen noch einfacher machte.

Insgesamt werden künstlich beleuchtete Korallenriffe dadurch nachts zu einem deutlich gefährlicheren Ort. Doch auch die länger wachbleibenden Raubfische könnten trotz reicher Beute langfristig unter der Lichtverschmutzung leiden. „Die Erkenntnis, dass die Lichtverschmutzung dazu führen kann, dass Fische später als gewöhnlich wach bleiben, ist besorgniserregend, da der Schlaf – wie bei uns – wahrscheinlich für die Regeneration von Energie und die Erhaltung der Gesundheit unerlässlich ist“, erklärt Weschke.

Lichtverschmutzung schafft eine „Nachtlichtnische“

Und es gibt noch eine weitere mögliche Nebenwirkung der nächtlichen Beleuchtung: Langfristig könnte es durch die marine Lichtverschmutzung zu neuartigen Interaktionen zwischen nacht- und tagaktiven Arten kommen, die sich ansonsten nie begegnen, wie die Forschenden vermuten. Es entstünde eine sogenannte „Nachtlichtnische“ mit neuen Formen der Konkurrenz, Prädation und Koexistenz.

Aber: „Es ist nicht bekannt, ob die in unserer Studie ermittelte Nachtlichtnische eine Gemeinschaft darstellt, die einen neuen, ausgeglichenen, dauerhaften Zustand erreicht, oder ob es sich um eine vorübergehende Zwischenphase handelt, in der die am meisten profitierenden Arten allmählich beginnen, auf Kosten derjenigen zu dominieren, die unter beleuchteten Bedingungen weniger erfolgreich sind“, schreiben Weschke und ihre Kollegen.

Effekt ist reversibel

All diese potenziell negativen Veränderungen könnten sich jedoch auch verhindern beziehungsweise wieder rückgängig machen lassen. Denn wie das Team beobachtet hat, reichten wenige beleuchtete Nächte noch nicht aus, um die Verhaltensänderungen auszulösen. Die Lichtverschmutzung muss über längere Zeiträume bestehen.

Daraus schließt Weschke: „Wenn wir die Intensität und Dauer des künstlichen Lichts begrenzen, es vorrangig für lebenswichtige Zwecke einsetzen und die ästhetische Nutzung reduzieren, können wir dazu beitragen, dass sich die dunklen Nächte, mit denen sich die Meeresökosysteme entwickelt haben, wieder natürlich einstellen.“ (Global Change Biology, 2024; doi: 10.1111/gcb.70002

Quelle: University of Bristol

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